Notes (Persönliches)

Englisch – Lingua franca

Immer wieder begegnet man in Deutschland Menschen, die sich irritiert zeigen ob der zunehmenden Verwendung der englischen Sprache. Unbestritten: unreflektierter Gebrauch von Anglizismen (der „Consultant“ geht ins „Office“), Nachplappern nicht wirklich verstandener Modeworte, anbiedernd wirkende Firmennamen („Group“ statt „Gruppe“ usw.) deutscher Unternehmen und an hiesige Verbraucher gerichtete Werbeslogans („Live every day - as if it's your last!“) – all das gibt es, und es fällt nur allzu oft schwer, darin etwas Erstrebenswertes zu erkennen. Andererseits aber: können deutschsprachige Werbesprüche wie „Geiz ist geil“ für sich wirklich ein höheres Niveau beanspruchen?

Fakt ist: So wie im Mittelalter dem Lateinischen der Rang einer Lingua franca zukam, so dominiert derzeit das Englische alle anderen Sprachen. Es wurde gleichsam zu einer globalen Universalsprache in so unterschiedlichen Bereichen wie Wissenschaft und Technik, Medizin, Informationstechnologie und Internet, internationaler Politik und Handel, Werbung, Film- und Unterhaltungsindustrie, Medien usw. – und mit großer Selbstverständlichkeit in technischen Bereichen wie bei der Lenkung des Flugverkehrs oder als Programmiersprache. Längst wurde im Management zahlreicher international tätiger Unternehmen mit Hauptsitz in nicht-englischsprachigen Ländern das Englische zur offiziellen Sprache.

Schätzungen zufolge werden 75 Prozent aller Briefe in englischer Sprache verfasst. Noch größer ist der Anteil der auf Computern in englischer Sprache gespeicherten Informationen. Nicht nur akademische Konferenzen finden überwiegend in englischer Sprache statt; wissenschaftliche Veröffentlichungen in anderen Sprachen als englisch unterliegen einem hohen Risiko, im Ergebnis der Nichtbeachtung anheimzufallen.

Nicht nur, gewiss aber in besonderer Weise für Studierende kann die Konsequenz daraus nur lauten, sich frühzeitig auf die englische Sprache einzulassen. Für Universitäten und Fachhochschulen bedeutet es die Notwendigkeit, noch viel mehr als bisher englischsprachige Studiengänge zu entwickeln und anzubieten. In der Mehrzahl der Fälle wird für hiesige Hochschulen überhaupt erst mit dieser Voraussetzung der internationale Bildungsmarkt zugänglich – für eine hochgradig vom Export abhängige Volkswirtschaft, die im Dienstleistungssektor unbestreitbar Nachholbedarf aufweist, ein nicht zu vernachlässigender Umstand.

Dennoch provoziert der Siegeszug des Englischen Misstrauen, Ressentiments, zum Teil sogar offene Gegnerschaft. Eine verbreitete Sorge besteht darin, dass sie der Kultur, der sie ihre Durchsetzung verdankt – vorrangig der US-amerikanischen – einen ungerechtfertigten, unfairen Vorteil verschaffe. Diese Schwierigkeit freilich ist keineswegs neu – so beklagte schon im 15. Jahrhundert der aus einem Moseldorf stammende damalige Bischof von Brixen, Nikolaus Cusanus, dass ein Deutscher nur mit allergrößter Anstrengung, „gerade so, als ob er seiner Natur Gewalt antun müsse“, in der Lage sei, korrekt Latein zu sprechen. Er bewunderte demgegenüber die Leichtigkeit und die Eleganz, mit der gebildete Italiener mit der lateinischen Sprache umzugehen verstanden.

Man mag diese Entwicklung und den Bedeutungsschwund der deutschen Sprache bedauern; sich den Tatsachen zu verweigern, dürfte kaum als erfolgversprechende strategische Antwort taugen: aus einer ökonomischen Sicht kann man die Rolle der englischen Sprache als wichtigstes internationales Kommunikationsmittel als ein geradezu klassisches Beispiel für Netzwerkeffekte interpretieren.

Dabei sind auch die Rückwirkungen auf die englische Sprache selbst alles andere als unproblematisch. Nicht nur kommt es zu Einflüssen auf das Englische aufgrund unterschiedlichen Sprachverständnisses und -gebrauchs; es tritt dazu ein paradoxes Phänomen auf: das Englisch vieler, die es als Muttersprache sprechen, ist durchaus so miserabel, dass es zu zunächst unerwarteten Kommunikationshindernissen kommen kann. Wenn ein Sprecher, dessen Muttersprache nicht Englisch ist, ein besseres Englisch als viele native speakers spricht, dann kann das von letzteren als nachgerade verletzend empfunden werden. Von George Bernard Shaw* ist nicht nur die Anmerkung bekannt, dass in London „999 von 1000 Menschen besonders schlechtes Englisch“ sprächen; Shaw hat den angesprochenen Sachverhalt sehr deutlich bemerkt: „Selbst unter englischen Menschen ist es eine pedantische Haltung, wenn man [es] zu gut spricht. Bei einem Fremden ist es schlimmer als eine pedantische Haltung: es ist eine Beleidigung des Einheimischen, der seine eigene Sprache nicht verstehen kann, wenn sie zu gut gesprochen wird.“ Man kann das (auch) als eine Ermutigung auffassen, die Sprachbarriere nicht überzubewerten, und der Empfehlung von Shaw folgen, mit der englischen Sprache in manchen Situationen ungezwungener umzugehen.

 

(*)Quelle: G.B. Shaw (1928): Spoken English and Broken English. London: Linguaphone Institute. Nachdruck in Tauber, A., und Pitman, Sir J. (Hrsg.) George Bernard Shaw on Language. London: Peter Owen, S. 54-64.